Welche Rolle spielen Vitamine, Mineralstoffe und Omega 3s bei ADHS?
In den letzten zwei Jahrzehnten untersuchten zahlreiche Wissenschaftler auf der ganzen Welt die Auswirkungen eines Defizits an Vitaminen und Mineralien auf die Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Da in Deutschland laut den Ergebnissen der EsKiMo Studie ein hoher Prozentsatz der Kinder nicht genügend lebenswichtige Mikronährstoffe mit der Nahrung aufnimmt, sollten alle Eltern die neuesten Forschungsergebnisse kennen.
- welchen Zusammenhang es gemäß aktuellen Studien zwischen Vitaminen, Mineralstoffen und ADHS geben soll
- warum viele Wissenschaftler der Überzeugung sind, dass Omega 3 Fettsäuren, Vitamin D und Eisen bei ADHS eine wichtige Rolle spielen
- was die Ernährung Deines Kindes mit ADHS zu tun hat
Wenn Du Dich gerade erst in dieses Thema einliest, empfehlen wir Dir mit unserem Artikel ADHS bei Kindern – was ist das? anzufangen.
Kinder mit ADHS haben oft eine Unterversorgung mit Mikronährstoffen
Eine große Zahl an wissenschaftlichen Studien belegt eine Verbindung (Korrelation) zwischen ADHS und verminderten Werten an Vitaminen und Mineralstoffen im Blut. Nachfolgend besprechen wir einige der Forschungsarbeiten.
Norwegische Wissenschaftler der Universität Bergen untersuchten Blutproben von 133 ADHS-Patienten und 131 Kontrollpersonen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren. Sie kamen zu folgendem Ergebnis:
"Die Studienteilnehmer mit ADHS weisen niedrigere Konzentrationen der Vitamine B2, B6 und B9 (Folsäure) auf als die gesunde Vergleichsgruppe."2
Forschungsteams aus Katar und der Türkei fanden heraus, dass der Vitamin-D-Spiegel im Blut (25-OH-Vitamin-D3) bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS wesentlich geringer ist als bei gesunden Gleichaltrigen.3-5
Die Ergebnisse einer Metaanalyse aus dem Jahr 2018, die von Wissenschaftlern aus Taiwan in der renommierten Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurden, sowie zweier klinischer Studien der Hamad Medical Corporation in Katar und des Burdwan Medical College (Indien) deuten auf einen Zusammenhang zwischen niedrigen Eisenwerten (Serumeisen, Ferritin) und einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung bei Kindern hin.6-8
Auch die Versorgung mit Omega 3 Fettsäuren scheint bei ADHS nicht ausreichend zu sein. So kamen Wissenschaftler der amerikanischen Purdue University im Rahmen einer Fall-Kontroll-Studie zu folgendem Resultat:9
"Es wurde festgestellt, dass der Anteil der Omega 3 Fettsäuren in den Plasma-Phospholipiden und Erythrozyten der ADHS-Gruppe im Vergleich zu den Kontrollpersonen signifikant niedriger war, während der Anteil der gesättigten Fettsäuren höher war."
Mit anderen Worten enthält das Blut von Personen mit ADHS einen deutlich geringeren Anteil an Omega 3 Fettsäuren als bei Gesunden.
ADHS-Studien mit Vitamin D
Vor Kurzem veröffentlichten Wissenschaftler zwei Forschungsarbeiten, die die Auswirkung von Vitamin D auf die Symptomatik bei ADHS untersuchten. Eine der Studien wurde mit 50 ADHS-Kindern und 40 gesunden Gleichaltrigen durchgeführt. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt Vitamin D, der Rest nahm ein wirkungsloses Mittel (Placebo) ein.
Die Zufuhr von Vitamin D sorgte bei den Kindern mit ADHS für eine Verbesserung von Aufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität.10
Ein ähnliches Resultat lieferte die zweite Studie, an der 70 hyperaktiven Kindern im Alter von 6 bis 13 Jahren teilnahmen. Drei Monate lang erhielt die Hälfte der Probanden täglich 1000 IE (25 Mikrogramm) Vitamin D3. Die anderen Kinder bekamen während dieser Zeit ein Placebo. Im Vergleich zur Placebo-Gruppe reagierten die Teilnehmer der Vitamin-D-Gruppe nach drei Monaten deutlich weniger impulsiv.11
Eine Übersichtsarbeit (Metaanalyse) aus dem Jahr 2019, die vier klinische Doppelblindstudien mit insgesamt 256 Kindern auswertete, kam zu folgendem Ergebnis: Die Nahrungsergänzung mit Vitamin D kann die Symptome bei ADHS reduzieren, ohne dass es dabei zu ernsthaften Nebenwirkungen kommt.12
Studien zu ADHS mit Omega 3 Fettsäuren
Wissenschaftliche Forschungsarbeiten mit insgesamt mehr als 4000 Patienten untersuchten die Auswirkungen der Einnahme von Omega 3 Fettsäuren auf ADHS-Symptome. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Ergebnisse in Form von wörtlich übersetzten Zitaten aus der Zusammenfassung (Abstract) vor:
1. Auswirkungen von Omega 3 Fettsäuren auf externalisierende Verhaltensprobleme
Im Jahr 2015 publizierte eine amerikanische Forschergruppe der University of Pennsylvania eine Arbeit mit dem Titel Verringerung von Verhaltensproblemen durch Omega-3-Supplementierung bei Kindern im Alter von 8-16 Jahren. Die Wissenschaftler beschreiben ihre Resultate folgendermaßen:13
"Die Ergebnisse liefern erste Belege dafür, dass eine Nahrungsergänzung mit Omega 3 Fettsäuren zu einer nachhaltigen Verringerung von externalisierenden und internalisierenden Verhaltensproblemen führen kann."
Mit dem Begriff externalisierende Verhaltensprobleme bezeichnen Psychiater Symptome, die in Verbindung mit ADHS sowie Störungen des Sozialverhaltens (SSV) stehen.
2. Effekt auf die mentale Gesundheit und die kognitiven Fähigkeiten
Die Metaanalyse eines Forschungsteams des King's College London und des China Medical University Hospital in Taichung (Taiwan) ergab Folgendes:14
"Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Monotherapie mit Omega 3 Fettsäuren (n-3-PUFAs) die klinischen Symptome und kognitiven Leistungen bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS verbessert und dass diese Jugendlichen einen Mangel an Omega 3 Fettsäuren aufweisen. Unsere Ergebnisse untermauern die Argumente für den Einsatz von Omega 3 Fettsäuren als Behandlungsoption bei ADHS."
Eine aktuelle Studie spanischer Wissenschaftler aus dem Jahr 2018 mit dem Titel "Auswirkungen von Omega 3 Fettsäuren und anderen nicht-pharmakologischen Maßnahmen auf das Verhalten und die Lebensqualität von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten in Spanien" kommt zu folgendem Schluss:15
"Eine Nahrungsergänzung mit Omega 3 Fettsäuren alleine oder in Kombination mit anderen nicht-pharmakologischen Behandlungen ist wirksam bei der Verbesserung der psychischen Gesundheit von Kindern. Insgesamt scheinen nicht-pharmakologische Empfehlungen, die derzeit von Kinderärzten ausgesprochen werden, wirksam zu sein, um den Gesundheitszustand und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern und gesundheitliche Probleme, insbesondere Hyperaktivität/Unaufmerksamkeit und Verhaltensstörungen, zu verringern."
3. Wirkung auf Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit
Die britische Wissenschaftlerin und Direktorin der Firma Nutritional Insight, Dr. Emma Derbyshire, führte im Jahr 2017 eine systematische Überprüfung von 16 randomisierten placebokontrollierten Studien durch, an denen insgesamt 1514 Kinder und Jugendliche mit ADHS teilgenommen hatten.
"13 der Studien berichteten über positive Auswirkungen von Omega 6 und Omega 3 Fettsäuren auf ADHS-Symptome, einschließlich der Verbesserungen von Hyperaktivität, Impulsivität, Aufmerksamkeit, visuellem Lernen, Wortlesen und Arbeits-/Kurzzeitgedächtnis."16
Wie hängen Vitamin D, Omega 3 Fettsäuren und ADHS zusammen?
Mehrere Studien konnten die Wirkung von Vitamin D auf die körpereigene Herstellung der Neurotransmitter Dopamin und Serotonin sowie einer Reihe von neurotrophen Faktoren nachweisen.17
Die Wissenschaft geht heute davon aus, dass bei ADHS eine Unterversorgung mit Dopamin vorliegt. Für die Hyperaktivität kann ein Mangel an Serotonin verantwortlich sein.18,19
Ein iranisches Forschungsteam der Tehran University of Medical Sciences führte 2019 eine Studie mit 86 ADHS-Kindern durch. Die Hälfte der Teilnehmer erhielt ein Nahrungsergänzungsmittel mit 2000 internationale Einheiten (IE) Vitamin D3 pro Tag für einen Zeitraum von 12 Wochen. Der Rest bekam ein Placebo. Wie eine Blutuntersuchung am Ende der Studie zeigte, hatte sich der Dopaminspiegel in der Vitamin-D-Gruppe deutlich erhöht, während der Serotonin-Wert unverändert blieb.17
Angaben von Medizinern des Children's Hospital Oakland Research Institute in Kalifornien zufolge beeinflussen Vitamin D sowie die Omega 3 Fettsäuren Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) die Herstellung, Freisetzung und Wirkung von Serotonin im Gehirn.20
ADHS-Studie mit dem Spurenelement Eisen
Französische Forscher veröffentlichten im Jahr 2008 eine klinische Studie mit 23 ADHS-Kindern im Alter von 5 bis 8 Jahren. Alle Probanden wiesen niedrige Eisenwerte (Ferritin unter 30 Mikrogramm pro Liter) auf. Eine Blutarmut (Anämie) lag bei keinem der Studienteilnehmer vor.
Achtzehn der Kinder nahmen für 12 Wochen täglich ein Eisenpräparat (80 Milligramm Eisensulfat) ein, die restlichen fünf erhielten ein Placebo. Im Verlauf der Studie verminderten sich die ADHS-Symptome in der Eisen-Gruppe deutlich, während sie in der Placebo-Gruppe unverändert blieben.21Studienergebnisse zur Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitaminen und Mineralien
Im Jahr 2018 publizierte eine Forschergruppe aus Neuseeland eine Doppelblindstudie, an der 93 ADHS-Kinder im Alter von 7 bis 12 Jahren teilgenommen hatten. Über einen Zeitraum von zehn Wochen nahmen 47 Probanden täglich ein Nahrungsergänzungsmittel mit Vitaminen und Mineralstoffen ein. Die restlichen 46 Teilnehmer erhielten ein Placebo.
Nach zehn Wochen zeigte fast die Hälfte (47 Prozent) der Kinder in der Vitamin- und Nährstoffgruppe eine starke bis sehr starke Verbesserung des klinischen Gesamteindruck (Clinical Global Impression Scale, CGI). Dank der Nahrungsergänzung war ein Drittel der Kinder aus dieser Gruppe deutlich aufmerksamer als zuvor.22
Die Studienteilnehmer aus der Mikronährstoff-Gruppe nahmen weiterhin jeden Tag das Nahrungsergänzungsmittel als einzige Therapie ein. Nach einem Jahr beurteilten Psychiater ADHS-Symptome, Stimmung und Angstzustände. Das Ergebnis: Bei 84 Prozent der Kinder hatte sich der Gesamtzustand bezogen auf den Ausgangswert zum Beginn der Studie deutlich verbessert.23
ADHS und die Ernährung
Eine ungesunde Ernährungsweise scheint das Risiko von ADHS zu erhöhen. So kamen Studien zu folgenden Schlussfolgerungen:
- Westlich geprägte Ernährung (zuckerhaltige und verarbeitete Lebensmittel, gesättigte Fettsäuren, wenig Ballaststoffe) kann mit ADHS in Verbindung gebracht werden.24
- Schüler, die regelmäßig Energydrinks konsumierten, hatten ein 66 Prozent höheres Risiko für Hyperaktivität/Unaufmerksamkeit.25
- Bei Kindern mit einem hohen Konsum an zuckerhaltigen Getränken war die Wahrscheinlichkeit vier Mal so hoch, an ADHS zu erkranken wie bei Kindern, die solche Getränke vermieden.26
- Künstliche Farbstoffe oder das Konservierungsmittel Natriumbenzoat (oder beides) in der Ernährung führen bei 3 und 8 beziehungsweise 9 Jahre alten Kindern in der Allgemeinbevölkerung zu einer erhöhten Hyperaktivität.27
- Der Verzicht auf Nahrungsmittel mit künstlichen Farbzusätzen (erkennbar an den E-Nummern) kann zu einer Verringerung der ADHS-Symptome führen.28
Mithilfe einer statistischen Auswertung der Ernährungsgewohnheiten von Kindern und Jugendlichen mit ADHS und gesunden Gleichaltrigen konnten spanische Wissenschaftler folgende Korrelation herstellen: Je mehr frisches Obst und Gemüse sowie fettreiche Fische – die sogenannte mediterrane Ernährungsweise – ein Kind verzehrt, umso geringer ist die Gefahr, an ADHS zu erkranken.29
Eine koreanische Forschergruppe bestätigte dieses Ergebnis. Anhand einer Befragung von 192 Grundschülern wiesen die Wissenschaftler Folgendes nach: Eine gesunde Ernährungsweise mit
- wenig Fett,
- einem hohen Kohlenhydratanteil
- Lebensmitteln, die Mineralstoffe und ungesättigte Fettsäuren enthalten,
verringert das Risiko, an ADHS zu erkranken.30
Zusammenfassung der Studienergebnisse
Obwohl ADHS genetische Ursachen hat, beeinflussen zahlreiche Faktoren die Entstehung und den Verlauf der Erkrankung. Aktuelle wissenschaftliche Forschungsarbeiten belegen, dass die Einnahme von Vitamin D3, Omega 3 Fettsäuren, Eisen und Multivitamin-/Multimineralstoff-Präparaten die Verhaltensauffälligkeiten der Kinder positiv beeinflussen kann.
Darüber hinaus scheint eine abwechslungsreiche Ernährung mit einem hohen Anteil an frischem Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkorn-Getreideprodukte, Fisch und Olivenöl (mediterrane Ernährungsweise) die Wahrscheinlichkeit zu reduzieren, an ADHS zu erkranken. Diese bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnisse nehmen wir zum Anlass, in unserem nächsten Artikel betroffenen Eltern 9 hilfreiche Tipps zu geben: ADHS bei Kindern – was können betroffene Eltern tun?
Quellenangaben
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